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In Bewegung
von Hans Krebs


Doris Schilffarth hält zwar nicht viel von den rasch wechselnden Ismen, erachtet sie als Behelfsstäbe, mit denen Kritiker und Marktstrategen den Korpus der Kunst korsettieren. Und doch darf ihr ein besonderer Ismus zugesprochen werden: Realismus des Körpers, und zwar des Körpers in Bewegung, ja der Bewegung selbst.
Dies haben Pioniere der Fotografe in frühen Sequenzen festgehalten; Marcel Duchamp tat es 1912 malerisch mit dem „Akt, eine Treppe herabsteigend“; die futuristischen Künstler folgten mit ihren „Vorwärtsprojektionen“; und so weiter.
Auch Doris Schilffarths Bilder gleichen vielfach einer Art Vorwärtsprojektion, versuchen die Fixierung einer tänzerischen Abfolge. Dabei löst sie, die perfekte Aktzeichnerin, die Körper oft aus festen Konturen, dem dramatischen Spiel von Fliehkraft und Schwerkraft folgend.
Doris arbeitet impulsiv. Sie arbeitet mit Tuschpinsel, mit Rohrfeder, Pastell und Filzstift, auch mit Collage-Elementen. Das muss auf anhieb sitzen wie bei einem Fresko. Acryl geht schneller als Öl, also wählt sie Acrylfarben. Viele Arbeiten wirken wie barocke Bozetti, besitzen deren viel versprechende Vehemenz. Überhaupt ist ihren Linien und Umrissen ein barocker Gestus eigen.
Doris Schilffarth hat als diplomierte Grafkerin gearbeitet, ist Illustratorin und Theaterzeichnerin und Malerin geworden. es hätte auch anders kommen können. Denn im zarten Alter von sieben Jahren begann sie zu tanzen, im Weiteren auch auf der Bühne. Und dem Tanz ist sie bis heute aktiv treu geblieben. Doch ihre Hauptaktivität gilt nicht der darstellenden, sondern der bildenden Kunst.
Dass sich beides in ihren Werken durchdringt, gehört zu deren Charakteristikum. Ballett-Profs bestätigen schon wegen des Bewegungsmusters ihrer Figuren: „Man sieht, Doris Schilffarth kommt vom Tanz!“ Wo wäre Stillstand in diesen Körperwelten? Die Kraft der Bewegung macht die Physiognomie unerheblich – im Unterschied zu den zahllosen Theaterzeichnungen von ihrer Hand.
Augsburg konnte sich viele Jahre glücklich schätzen, gleich zwei hervorragende Künstler dieses Genres zu beherbergen und regelmäßig publiziert zu sehen: Otto Baer und Doris Schilffarth. Letztere hat auch im Deutschen Theatermuseum München ein beeindruckendes Zeugnis dieses Schaffens vorgelegt.
Das Genre Theaterzeichnung ist irgendwie abhanden gekommen. Vielleicht wird es im Karussell der Stile und Moden wieder einmal nach vorne gelangen, den sublimsten Theaterfotos zum Trotz.
Was ist nicht alles tot gesagt worden? Bekanntlich mehr als einmal auch die Malerei. Doch mehr als einmal ist sie zurückgekehrt, auch als fgurative Kraft. Der Mensch, lange Zeit aufgelöst in der Abstraktion und verwaist in Informel, Minimal Art und Konzeptkunst, ist wieder da. Bei Doris Schilffarth war er nie fort.
Ihr künstlerisches Talent hat sie wohl von ihrem Vater Hermann Fischer in die Wiege gelegt bekommen. Der wurde vor allem als Landschaftsmaler bewundert. Tochter Doris, wie gesagt, zeichnet und malt Menschen. Ihnen, dem Bewegungsdrang ihrer Körper, der Dramaturgie ihres Tanzes spürt sie in freien spontanen Bildinszenierungen nach – wie ein meisterlicher Fotograf stets bemüht um den „moment décisif“, den entscheidenden Augenblick. Und das ist gut so.


Hans Krebs, Kultur-Autor
und langjähriger Leiter
des Feuilletons der
Augsburger Allgemeinen